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Uraufführung: "Hirschen" von Franzobel in GrazUraufführung: "Hirschen" von Franzobel in GrazUraufführung: "Hirschen"...

Uraufführung: "Hirschen" von Franzobel in Graz

Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Graz,

Premiere am 30.November um 19.30 Uhr.

 

Noch immer sind in Österreich die Verliese der Vergangenheit nicht befreit von ihren Altlasten. Ein solches „Verlies der Vergangenheit“ blieb auch nach 1945 beharrlich das steirische Salzkammergut, wo sich bis heute Wahrheit und Legenden um gesprengte Widerstandsnester, versprengte Nazibonzen und versenkte Reichsbankschätze ebenso hartnäckig am Leben halten wie ewiggestrige politische Revanchegelüste.

Mit der Fackel seiner eigenwilligen Sprachmacht und dramatischen Kraft leuchtet der österreichische Dichter Franzobel tief in dieses verschüttete Verlies heimischer Historie und bringt dabei, wie schon in seinem Drama „Hunt“ über die Februarkämpfe 1934, überraschende Verbindungen und Zusammenschlüsse von Geschichte und Gegenwart zum Vorschein. Sein dramatischer Vorsatz:
„In Hirschen wird den Widerstandskämpfern im Salzkammergut und den einfachen Leuten, die sie unterstützt haben, ein Denkmal gesetzt. Diese Partisanen haben keine Brücken gesprengt und keine Attentate verübt und doch konnten sie das Leben vieler Zwangsarbeiter retten und sind sie verantwortlich, dass sie damals im Altausseer Salzberg eingelagerten Kunstschätze (unzählige Meisterwerke, u.a. die Mona Lisa und der Genter Altar) nicht von den damals bereits fatalistischen Nazis gesprengt worden sind.

Es geht um die letzten Kriegstage, um einen Ausnahmezustand, der im abgeschlossenen Bergkessel der so genannten Alpenfestung besonders extrem zutage trat, trafen doch faschistische Exilregierungen, verzweifelte Wehrmachtssoldaten, die ihre Haut retten wollten, freigelassene KZ-Häftlinge, davon nicht wenige Verbrecher, Ausgebombte, Zuflucht Suchende, Unverbesserliche und eben die Partisanen aufeinander. Hinzu kommt noch eine von den Engländern ausgebildete Gruppe österreichischer Fallschirmspringer, die den ebenfalls hier Zuflucht suchenden Goebbels fangen will – sie kommen allerdings um zwei Tage zu spät, Goebbels ist bereits wieder in Berlin. Eine
Extremsituation, ein Nullpunkt, an dem sich die Möglichkeiten einer Gesellschaft und eines Staates neu denken und definieren lassen. Für welche Ideale lohnt es sich einzustehen? Wie könnte ein idealer Staat, eine ideale Gesellschaft und damit auch ein idealer Mensch aussehen?

Es sind die so genannten kleinen Menschen, Hilfsarbeiter, Knechte, Jäger, Fleischhauer, Senner, die im Salzkammergut Widerstand geleistet haben, sich um die Zukunft sorgten, Menschen, deren persönliches Freiheitsstreben so groß war, dass sie sich nicht einfügen konnten. Das Stück ist auch eine Hommage an diese Menschen, an diesen Menschentyp.
Es soll hier aber nicht alleine darum gehen, ein Historiendrama und ein vergessenes Stück österreichischer (steirischer) Geschichte auf die Bühne zu stellen, sondern darum, inwieweit über den Umweg der eigenen Vergangenheit die Gegenwart erklärbar wird. Immerhin lässt sich die Situation im heutigen Irak mit der im damaligen Österreich vergleichen, erscheint auch die EU, gemessen an dem, was vor 60 Jahren noch undenkbar schien, in einem anderen Licht. Müssen wir angesichts dieser Geschichte auch den Umgang Österreichs mit Asylbewerbern und Flüchtlingen überdenken?

In ‚Hirschen’ geht es um die Verantwortung des einzelnen. Was kann, was muss jeder tun? Ohne moralinsauer zu werden, geht es um Anstand, Würde und Menschlichkeit, um den verzweifelten Versuch des einzelnen, nicht von den Mühlen der Geschichte und den verschiedenen Ideologien zerrieben zu werden, sich trotz aller Anfechtungen in seinem Lebenswillen zu behaupten, ohne dabei die Freiheit zum Humor, zum Lebenswürdigen zu verlieren. Bei allem ‚politischen Ernst’ sollen in der Umsetzung Infantilität und Surrealismus nicht zu kurz kommen. Eine Tonne Schokolade.“
Franzobel

Franzobel, in Vöcklabruck 1967 geboren, lebt als freier Autor in Wien.
Bis 1991 bildender Künstler. Zu seinen Werken zählen u.a. „Mayerling. Die österreichische Tragödie“ (2002), „Mozarts Visionen“ (2003), „Mundial. Gebete an den Fußballgott" (2002), "Schmetterling Fetterling" (2004), „Wir wollen den Messias jetzt oder Die beschleunigte Familie“ (Akademietheater Wien, 2005) und Prosa u. a.: „Böselkraut & Ferdinand“, „Krautflut“ Georg Schmiedleitner, Mitbegründer und langjähriger Leiter des „Phönix“-Theaters Linz. Als
Regisseur seit 1997 Arbeiten u.a. am Burgtheater und Volkstheater Wien, im Schauspielhaus Graz (Saison 1998/99: „Liebesgeschichten und Heiratssachen“ von Nestroy), Linz, Nürnberg, Bochum, Weimar. Nestroy-Preis 2005 für die Uraufführung von Franzobels Drama „Hunt“.

Tickets
T 0316 8000, F 0316 8008-1565
E tickets@theater-graz.com
www.theater-graz.com/schauspielhaus

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