Gemessen schreitet Raimund Hoghe in Stöckelschuhen über die Bühne zu Beginn seines neuen Stückes "Quartet", das jetzt im Tanzhaus NRW uraufgeführt wurde. Er verteilt dabei aus einem Säckchen goldene, nussartige Kugeln auf dem Boden. Er nimmt sich Zeit und schafft so eine Ruhe und Konzentriertheit, die sich auch auf das Publikum auswirkt. Wie ein Ritual wird im weiteren Verlauf des Stückes das Verstreuen und Einsammeln zelebriert. Die rituelle Strenge wird aber mehrfach unterbrochen, etwa wenn Ornella Ballestra, die Diva mit schwarzem Kopftuch und schwarzer Sonnenbrille, beim Einsammeln scheitert, weil ihr die Kugeln immer wieder aus den Händeln fallen.
"Der Tod und das Mädchen" von Franz Schubert und die Musik von Edvard Grieg lassen Wehmut und Melancholie entstehen. Italienische Canzone erwecken das Lebensgefühl der 1950er und -60er Jahre mit ihrer Italiensehnsucht wieder. Das abgesungene italienische Kochrezept und Rita Pavone versprühen unbändige Lebensfreude - und "Im Prater blühen wieder die Bäume". Jacques Brels "Ne me quitte pas", auf Italienisch gesungen, mit seinem Liebesleid setzt einen Kontrapunkt dazu, während alle Welt doch weiß, dass "Life is a Cabaret". Der Mensch vereinzelt und doch aufeinander bezogen, das wird auch in den Bewegungen sichtbar. Fast nie berühren sich die Tänzer, dennoch nehmen sie aufeinander Bezug, spiegeln sich und finden zu einander, wenn sie in einer Reihung hintereinander herschreiten oder nach Größe geordnet vor der Wand stehen. Der fröhliche Twist, der hinreißend getanzt wird, passt daher wunderbar ins Konzept, da auch er einzeln zu tanzen ist. Seine Rolle als Zeremonienmeister stellt Raimund Hoghe in Frage, indem er statt Krone einen Muff auf dem Kopf trägt. Immer wieder gibt es verzögerte Momente in den Bewegungen der Tänzer. Takashi Ueno zeigt das besonders virtuos.
In Bandeinspielungen von Konzert-Life-Mitschnitten erzählen Sammy Davis Jr., Liza Minelli oder Marianne Faithful von ihren Bühnen- und Lebenserfahrungen, für die Bühne teils humoristisch aufgearbeitet, wie man das von solchen Showgrößen erwarten kann, aber in ihren rauchigen, von Exzessen gezeichneten Stimmen klingt das gelebte Leben mit seinen Brüchen durch und auch eine leichte Melancholie und Sorge vor Alter und Tod.
Hoghe lässt auch wie schon in "An Evening with Judy" Erinnerungen an eine vergangene Ära aufleuchten, erinnert zugleich an ein ganz anderes Zeit- und Lebensgefühl, fragt nach Ruhm und seinem Verblassen, zeigt die fröhlichen, aber auch traurigen Seiten des Lebens in einer ganz eigenen ästhetischen Konsequenz.
"Quartet" erscheint im zweiten Teil etwas zu langatmig, einige Kürzungen hätten daher gut getan. Dennoch herrschte beim Publikum Begeisterung.
Konzept, Choreografie, Tanz, Ausstattung: Raimund Hoghe; Künstlerische Mitarbeit: Luca Giacomo Schulte; Tanz: Ornella Balestra, Marion Ballester, Emmanuel Eggermont, Raimund Hoghe, Yuta Ishikawa, Luca Giacomo Schulte, Takashi Ueno; Licht: Raimund Hoghe, Arno Truschinski; Ton: Frank Strätker
„Quartet“ ist eine Produktion von Raimund Hoghe – Hoghe & Schulte GbR, Düsseldorf/Cie VENTO, Paris, koproduziert durch das Festival Montpellier Danse 2015. Gefördert durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, die Kunststiftung NRW und das Kulturamt der Landeshauptstadt Düsseldorf. Unterstützt von Centre national de la danse (CND) Paris, Centre national de danse contemporaine (CNDC) Angers, La Ménagerie de Verre (Paris) dans le cadre de Studiolab, Théâtre Garonne Toulouse, Montpellier Danse/Résidence à l’Agora, Cité Internationale de la Danse und tanzhaus nrw. Mit besonderem Dank an agnès b. Paris. Die Vorstellungen im tanzhaus nrw werden unterstützt durch die Stiftung Van Meeteren.
14. und 15. November 2014