Norma, die als kleines Kind noch gerne mit den Jungs gespielt hat (und diese mit ihr), muss irgendwann mit Ernüchterung feststellen, dass Gleichberechtigung auf dem Spielplatz aufhört, als die Jungs feststellen, dass sie „anders“ ist: Als Mädchen darf sie nicht mehr mitspielen. Ihre Kindheit nimmt mit einem Schlag ein Ende, als sie auf der Geburtstagsparty ihres Bruders unter Drogeneinfluss Opfer einer Massenvergewaltigung wird. Auch das Wegziehen und Studieren bringen keinen Neustart, sondern nur belanglose Liebschaften, übermäßigen Drogenkonsum und einen Verkehrsunfall mit sich. Ungewollt schwanger wird ihr sogleich die Vormundschaft vom Jugendamt entzogen und die Verwirrungen in ihrem Kopf werden stetig mehr.
Nach einer versuchten und gescheiterten Entführung steht sie vor einer großen Entscheidung: Wie soll es weitergehen? Geht ihr Leben nun ab- oder aufwärts oder endet es? Reichlich dramatisch klingt die Geschichte von Norma, der das Schicksal eine Prüfung nach der anderen beschert. Oder ist es der Autor? Denn das Stück ist auch eine hintersinnige dramatische Spielerei zu einem ernsten Thema. Neben den dialogischen Passagen stehen nämlich lange Prosatexte, vorgeblich sind es Regieanweisungen, die „je nach Finanzlage des jeweiligen Theaters umgesetzt oder auch nur erzählt werden können“.
Philipp Löhle schildert Situationen, in denen sich die leidgeprüfte Protagonistin wehren und bewähren muss, um selbst Herrin über ihr zugeschriebenes Schicksal zu werden. Die drastische Zuspitzung der Theaterfigur Norma ist, wie ein Blick auf die aktuellen Statistiken der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zeigt, dennoch bittere Realität: Jede dritte Frau in der EU ist körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Philipp Löhle fühlt dem Lauf der Zeit also wieder einmal auf den Zahn und fragt: Kann es einen bewussten Ausstieg aus einem vorgegeben Leben geben, kann eine Revolte gegen die uns umgebenden Gewaltstrukturen erfolgreich sein, und sei es nur, indem eine Figur es schafft, hinter den Text zu schauen, der ihr vorgegeben wird?
Zum Autor
Philipp Löhle
Philipp Löhle, geboren 1978 in Ravensburg, studierte Geschichte, Germanistik, Theater und Medienwissenschaften. Er war mehrmals für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert: 2008 für „Genannt Gospodin“, 2012 für „Das Ding“, das mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, und 2014 für „Du (Normen)“. Außerdem war er Hausautor am Maxim Gorki Theater in Berlin, am Nationaltheater Mannheim und am Staatstheater Mainz. Für das Konzert Theater Bern schrieb er in der Spielzeit 2013.2014 „Wir sind keine Barbaren!“, das in der Spielzeit 2014.2015 vielerorts in Deutschland und auch in Graz inszeniert wurde.
Zum Regisseur
Dominic Friedel
Dominic Friedel, 1980 in Ansbach geboren, studierte nach dem Abitur Theater- und Medienwissenschaft, Politikwissenschaft und Psychologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 2007 bis 2011 war Dominic Friedel fest als Regieassistent von Armin Petras am Maxim-Gorki-Theater Berlin engagiert, in dieser Zeit entstanden eigene Regiearbeiten, darunter zwei Uraufführungen von „Ernte“ von Claudia Grehn (2010) und „Heimat“ von Mario Salazar (2011). Mit dem Autor Philipp Löhle verbindet ihn eine längere Zusammenarbeit, er inszenierte unter anderem am Nationaltheater Mannheim die deutsche Erstaufführung von „Wir sind keine Barbaren!“ (2014). In den Spielzeiten 12.13 und 14.15 war Dominic Friedel als Hausregisseur am Nationaltheater Mannheim engagiert. Im Dezember 2014 fand „Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier“ von Anne Lepper in der Regie von Dominic Friedel am Konzert Theater Bern als Schweizer Erstaufführung statt. Diese Inszenierung wurde sowohl zum Schweizer Theatertreffen als auch zum Nachspielpreis-Wettbewerb des Heidelberger Stückemarktes eingeladen. In der Spielzeit 2015.2016 inszenierte Dominic Friedel Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ am Schauspielhaus Graz, wofür er unter anderem für den Nestroypreis 2016 nominiert war.
DU (NORMA) von Philipp Löhle
Regie Dominic Friedel
Bühne Frank Holldack
Kostüme Karoline Bierner
Dramaturgie Jennifer Weiss
Mit Pascal Goffin, Benedikt Greiner, Sarah Sophia Meyer, Clemens Maria Riegler
weitere Vorstellungen am 8. und 17. März, jeweils 20.00 Uhr, sowie ab April