Diese Worte des Philosophen John Locke mögen dem brasilianischen Komponisten Antônio Carlos Gomes in Fleisch und Blut übergegangen sein. Denn als er von Italien in seine Heimat zurückkehrte, schloss er sich der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in seinem Land an.
Seinen musikalischen Ausdruck fand dieser enthusiastische Freiheitskampf in der 1889 uraufgeführten Oper LO SCHIAVO, einem brasilianischen Werk, wie es allerdings italienischer kaum sein könnte. Denn Gomes‘ Vorbilder waren keine geringeren als die Belcanto-Größen Donizetti, Bellini, Mercadante und nicht zuletzt auch Giuseppe Verdi, der sich von Gomes‘ Stil beeindruckt zeigte: „Dieser Jüngling beginnt dort, wo ich aufgehört habe“. Tatsächlich komponierte Gomes auf der Schwelle zwischen gefühlsgetränkter italienischer Romantik und purem Verismo. So führte er nicht nur Verdis Musik weiter, er nahm zugleich so wichtige Komponisten wie Ponchielli, Giordano und Mascagni voraus – eine Glanzleistung.
Im Mittelpunkt von LO SCHIAVO steht Iberè – gefangen, versklavt, zwangsverheiratet mit der Sklavin Ilàra, verkauft und schließlich doch freigelassen; ein Mann von unumstößlichen Prinzipien, von bemerkenswertem Sinn für Gerechtigkeit, von unerschütterlicher moralischer Integrität. Iberè stellt sich an die Spitze einer Revolte gegen die Portugiesen, die mit Hilfe der Kirche und der Peitschen das Land besetzt halten und die einheimische Bevölkerung unterdrücken. Doch inmitten dieses Kampfes trifft er auf Americo, den Sohn seines ehemaligen Herrn. Iberè weiß, dass er diesem Mann sein Leben verdankt, und doch ist er zu seinem ärgsten Rivalen geworden. Denn Americo und Iberès Frau Ilàra lieben sich. Iberè muss nun eine Entscheidung fällen. Soll Americo sterben? Soll er ihn gehen lassen? Soll er sich für Americo und Ilàras Liebe opfern?
Auch wenn die Handlung von LO SCHIAVO ursprünglich im 16. Jahrhundert angesiedelt ist, entbehren die hinter der Liebesgeschichte und dem persönlichen Schicksal des Sklaven Iberè stehenden Themen keineswegs einer aktuellen Brisanz. In Schwellenländern wie Brasilien ist die Sklaverei zwar schon seit langem abgeschafft, und dennoch nur durch eine andere, vielleicht nicht weniger perfide Art der Unterdrückung ersetzt worden: der Lohnsklaverei. Das Regieteam um Joachim Rathke (Inszenierung), Bernhard Niechotz (Bühne) und Lukas Noll (Kostüme) greift diese Missstände auf und führt das Werk mitten hinein in die zweite Dekade des 21. Jahrhunderts.
In Europa war LO SCHIAVO bisher nur an den Opernhäusern in Bern (in deutscher Übersetzung) und London zu erleben, in Deutschland bisher jedoch noch nie. Am Stadttheater Gießen gelangt Gomes‘ Meisterwerk so zur lang vermissten deutschen Erstaufführung. In der Titelpartie des Sklaven Iberè konnte der US-Amerikanische Bariton Adrian Gans gewonnen werden, der erst kürzlich in Gießen den Jago in Verdis OTELLO interpretierte. Die beiden weiteren Hauptpartien der Ilára und des Americo konnten mit SängerdarstellerInnen besetzt werden, die dem Gießener Publikum noch in bester Erinnerung sein dürften: die italienische Sopranistin Virginia Todisco und – als Gast vom Staatstheater am Gärtnerplatz München – der Tenor Adrian Xhema. Die musikalische Leitung liegt bei Generalmusikdirektor Carlos Spierer.
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Carlos Spierer
Inszenierung: Joachim Rathke
Bühne: Bernhard Niechotz
Kostüme: Lukas Noll
Chor: Jan Hoffmann
Mit: Carla Maffioletti (La Contessa di Boissy), Virginia Todisco (Ilàra); Stephan Bootz (Il Conte Rodrigo), Adrian Gans (Iberè), Adrian Xhema (Americo) u.a.
Philharmonisches Orchester Gießen
Chor und Extrachor des Stadttheater Gießen
Weitere Vorstellungen: 11. und 25. Februar, 19. und 31. März, 24. April, 21. Mai 2011 | 19.30 Uhr