Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nach-barn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.“
So beginnt Kleists Erzählung aus dem Jahr 1810, an deren Ende Michael Kohlhaas für erlittenes Unrecht entschädigt und für verübtes Unrecht geköpft und damit die aus den Rudern gelaufene moralische und juristische Ordnung wiederhergestellt wird.
Abweichend von seinem historischen Vorbild trägt Kohlhaas bei Kleist den Vornamen Michael, was in seinem hebräischen Ursprung bedeutet: „Wer ist wie Gott?“
Die Karlsruher Inszenierung zäumt das Pferd von hinten auf und stellt diese Frage post mortem. Wie kann der tote Kohlhaas mit seinen Handlungen leben, für deren Fatalität er selber der nicht mehr lebende Beweis ist?
Michael Kohlhaas, ein Selbstjustizbeamter; changierend zwischen dem Erzengel Michael, der sich gegen jeden richtet, der Gottes Stellung in Zweifel zieht, und dem deutschen Michel, ist ein Prinzipienvorreiter des „Deutschen Herbstes“. Welcher Zweck heiligt welche Mittel? Kann es eine Frage der Schadenssumme sein, wann das Private politisch wird?
Regie: Anke Bußmann; Kostüme: Anne Dehof
Mit: Marc-Philipp Kochendörfer
Weitere Vorstellung: 1.7.2008