Gewimmel auf der Straße, ein Fahrradfahrer, ein Alter mit Stock, mühsam schleppen und zerren Menschen trippelnden Schrittes Gepäckstücke kreuz und quer über die Bühne. Mit einer großartigen Choreographie beginnt Brechts Stück "Der gute Mensch von Sezuan" im Düsseldorfer Schauspielhaus. Drei Götter sind auf der strapaziösen Suche nach einem guten Menschen auf der Erde, sie werden nach vielen Enttäuschungen schließlich doch noch in Sezuan fündig. Die Prostituierte Shen Te ist die einzige, die ihnen Herberge gewährt. Durch ein Geschenk der Götter wird sie in die Lage versetzt, Gutes zu tun. Sie kauft sich einen kleinen Tabakladen, der schon bald durch die Ausnutzung ihrer Gutmütigkeit vor dem Ruin steht. Sie sieht sich daher gezwungen, einen imaginären Vetter namens Shui Ta zu erfinden, in dessen Rolle sie immer dann schlüpft, wenn sie sich nicht mehr zu helfen weiß.
Auch Brecht weiß sich angesichts des menschlichen Dilemmas, gut sein zu wollen, aber durch die Umstände daran gehindert zu werden, letztlich nicht zu helfen und lässt das Ende offen. In einem Epilog wird der Zuschauer aufgefordert, selbst eine bessere Lösung zu finden. Das trotz seiner Gesellschaftskritik durchaus heitere Stück erhält dadurch eine nachhaltig nachdenkliche Note.
Philip Tiedemanns Inszenierung ist rundum gelungen. Das ganze Ensemble läuft zur Hochform auf. Xenia Snagowski als Shen Te/ Shui Ta scheint in ihrer ungekünstelten Leichtigkeit der Spielweise die Idealbesetzung. Wandlungsreich auch Michele Cuciuffo in den charakterlichen Facetten des Yang Sun.
Etienne Pluss hat mit seinen Stoffbahnen, auf denen die Wohnsiedlung aufgemalt ist, einen leichten, fast poetischen Bühnenraum geschaffen, der kleine Tabakladen wird wie eine große Kiste immer wieder ins Geschehen geschoben.
Die Kostümausstattung von Stefan von Wedel ist eine wunderschön eigensinnige Mischung zwischen stilisierten Commedia dell'Arte-Figuren, Fellini und chinesischen Märchenfiguren. Inspiriert wurde er vom Karomuster der großen Plastiktaschen, die in armen Ländern als Kofferersatz dienen und auch in diesem Stück Verwendung finden. Seine Frisuren zeigen eine Abwandlung des chinesischen Zopfes in bizarren Ausformungen.
Stimmungsvoll auch Ole Schmidts Bühnenmusik, die an chinesischer Musik Anleihen nimmt, ohne in einen folkloristischen Stil zu verfallen.
Leuchtende Augen, langanhaltender Applaus und unzählige Bravi für ein exzellent inszeniertes, grandios in Szene gesetztes Stück. Intelligent, spritzig, großartig! Ein Abend, den man sich nicht entgehen lassen sollte! Die Alternative zum unergiebigen Fernsehabend, wenn man die vielzitierten Worte eines preisabweisenden Literaturkritikers einmal im Originalzusammenhang verstehen möchte.
Inszenierung: Philip Tiedemann
Bühne: Etienne Pluss
Kostüme: Stefan von Wedel
Musik: Ole Schmidt
Darsteller: Michael Abendroth, Miguel Abrantes Ostrowski, Claudia Burckhardt, Michele Cuciuffo, Markus Danzeisen, Daniel Graf, Anna Grisebach, Esther Hausmann, Mariannne Hoika, Horst Mendroch, Daniel Nerlich, Wolfram Rupperti, Pierre Siegenthaler, Xenia Snagowski