Es ist die Geschichte des einfachen Parteimitglieds Winston Smith, dessen Gefühle und Absichten als systemfeindlich entdeckt werden, woraufhin er von den mitleidslosen Machthabern unerbittlich körperlich und seelisch zerstört wird, um ihn anschließend neu zu erschaf-fen.
Doch was bedeutet die Geschichte und ihre Rezeption im Jahre 2009 – 25 Jahre nach »1984«, geschrieben 1948 – was bedeutet ein Zukunftsroman, der in der Vergangenheit spielt, auf der Bühne? Der heutige Blick auf Orwells letztes Werk zeigt nicht nur, wie visionär der Autor eigentlich war. »1984« ist in erster Linie ein philosophischer Roman. Er handelt von der Sehnsucht nach Wahrheit in einer Umwelt, in der es keine verlässliche Geschichte und Objek-tivität gibt. Orwell geht es um den Menschen in seinem Ringen, das eigene Sein in einer sich ständig verändernden Welt zu positionieren. In »1984« lässt er seinen Protago-nisten Winston Smith sagen: »Ich frage mich, ob ich nicht selbst irrsinnig bin. Ein Irrer ist vielleicht nichts an-deres als eine Einmannminderheit.
Früher war der Glaube, die Erde drehe sich um die Sonne, ein Zeichen von Irrsinn gewesen; heute ist es der Glaube, die Vergangenheit sei unveränderbar. War es immer so gewesen? Hatte das Essen immer so geschmeckt? Waren die U-Bahnen immer schon über-füllt, die Häuser baufällig, das Brot dunkel, der Kaffee scheußlich? Mit diesem Glauben mag ich allein dastehen, und wenn es so ist, dann als Irrer. Doch die Vorstellung, ein Irrer zu sein, macht mir nicht viel aus: das Grauen liegt vielmehr darin, dass ich auch Unrecht haben könnte. Man braucht sich ja nur umzublicken, um festzustellen, dass das Leben in Diskrepanz zu den Lügen steht, die aus den Teleschirmen strömt. Große Bereiche des Lebens er-schöpfen sich darin, sich mit öden Jobs abzumühen, sich einen Platz in der U-Bahn zu erkämpfen, einen löchrigen Strumpf zu stopfen, eine Süßstofftablette zu schnorren, einen Zigarettenstummel aufzuheben. Eine Welt der Millionen Mülltonnen. Tag und Nacht bedröhnen einen die Tele-schirme mit Statistiken, die beweisen, dass die Menschen heute mehr zu essen, mehr Kleider, bessere Häuser, besse-rer Freizeitmöglichkeiten haben – dass sie länger leben, kürzere Arbeitszeiten haben, größer, gesünder, stärker, glücklicher, intelligenter, gebildeter sind, als die Menschen vor fünfzig Jahren.«
Wir beobachten Winstons Verwandlung von einer Person, die den Herrscher Big Brother abgrundtief hasst, zu einem Men-schen, der am Ende mit Hingabe sagen kann: »Ich liebe Big Brother«.
Für die Bühne bearbeitet von Alan Lyddiard
Regie Tom Kühnel
Bühnenbild Jo Schramm
Kostüme Ulrike Gutbrod
Dramaturgie Arved Schultze
Mit:
Anna Böger
Nicola Fritzen
Bettina Grahs
Elisabeth Hoppe
Konrad Singer
Weitere Vorstellungen im Kleinen Haus:
Sa 23.05. 20 Uhr Di 26.05. 20 Uhr
Mi 27.05. 20 Uhr Mo 01.06. 20 Uhr
So 07.06. 20 Uhr Fr 12.06. 20 Uhr