Fasziniert von asiatischen Kulturen lässt sich Sidi Larbi Cherakaoui - seit neuestem künstlerischer Leiter des flämischen Royal Ballets in Antwerpen - immer wieder zu entsprechenden Stücken anregen. In "Fractus V", das als deutsche Erstaufführung im Tanzhaus NRW zu sehen war, verbindet er modernes Tanztheater mit Flamenco und Lindy-Hop, japanische Perkussion mit mittelalterlicher und koreanischer Musik sowie indischer Sarod-Musik. Was wie eine wilde Mischung anmutet, findet bei Cherkaoui aber durchaus zu einer über-zeugenden Einheit.
Es beginnt mit einem a-cappella gesungen Sanctus. Aus dreieckigen Holzplatten wird ein Bühnenweg für den Flamenco-Tänzer. Aus mehreren Tänzern wird eine vielarmige Person. Allzu leicht ist man geneigt sich von der überwältigenden Präsentation der fünf Tänzer und drei Live-Musiker, die auch Tanzparts übernehmen, mitreißen zu lassen, aber hinter der Fassade gibt es auch eine Botschaft und die beschäftigt sich mit der Frage, was noch Information und was schon Manipulation ist. Ganz extrem wird das in einer Szene vorgeführt, in der immer wieder verschiedene Erschießungen solange geprobt werden, bis die letzte Positionierung des vermeintlichen Opfers endlich fotographisch dokumentiert werden kann. Die Information entpuppt sich also als reine Propaganda. Auch sonst scheint das menschliche Gehirn überfachtet von Sinneseindrücken und das Denken selbst wird zum Thema. Der Versuch, einmal nicht zu denken, mündet darin, dass man über seine Gedanken nachdenkt, und schon befindet man sich in einem Teufelskreis. In einer Textpassage regt Cherakoui daher dazu an, sich der Meditation zu widmen.
Das Publikum zeigte sich von dieser fulminanten Ensembleleistung begeistert und belohnte mit minutenlanger, stehender Ovation.
Choreografie: Sidi Larbi Cherkaoui
Tanz: Sidi Larbi Cherkaoui, Dimitri Jourde, Johnny Lloyd, Fabian Thomé, Patrick „Two Face" Williams; Live-Musik: Shogo Yoshii, Woojae Park, Soumik Datta; Musik- Komposition: Shogo Yoshii, Woojae, Sidi Larbi Cherkaoui, Johnny Loyd
Assistenz Choreografie: Jason Kittelberger; Lichtdesign: Krispijn Schuyesmans; Sound: Jef Verbeeck; Kostüme: Elisabeth Kinn Svensson; Technische Leitung: Patrick „Sharp" Vanderhaegen; Produktionsleitung/Tour Manager: Arnout André de la Porte.
Oktober 2015