
Das Areal des agra Messepark ist ein Schnittpunkt historischer Ereignisse und Epochen: Es ist einer der Schauplätze der Völkerschlacht, in der Gründerzeit errichtete das Leipziger Bürgertum dort Villen zur Sommerfrische, von denen etwa das Weiße Haus noch heute erzählt. Ab 1890 wurde um das Weiße Haus der Herfurth’sche Park angelegt, der 1945 enteignet und umgestaltet wurde, um die Gartenbauausstellungen der DDR zu veranstalten. Parallel entstand ab 1952 das Gelände für die agra-Landwirtschaftsausstellung der DDR. Als anerkannte Messe für die Fachwelt im In- und Ausland waren regelmäßig über eine halbe Million Besucherinnen und Besucher zu Gast. Heute ist das Gelände, auf dem sich auch die Städte Leipzig und Markkleeberg berühren, zumeist bekannt für den Antik- Markt und als Quartier des Wave-Gotik-Treffens.
Nun wird die agra zur „ag(o)ra“. In der griechischen Antike war die Agora der Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart, der Ort der gesellschaftlichen Debatten. Die ag(o)ra des Schauspiel Leipzig wird nun zum Forum von Geschichte und Geschichten nicht nur des außergewöhnlichen agra-Areals.
Basis dafür wird die Halle 4: eine Halle mit Foyer und eigener Bühne, die noch reichlich Atmosphäre aus der Zeit als Kultursaal bewahrt hat. Drei Spielstätten richten wir dort ein: den „Saal“, den „Lampenladen“ und die „Kulturbühne“. Sie bilden die zentralen Spielorte der ag(o)ra.
Die ag(o)ra startet im April mit vier Produktionen: Den Spuren und Geschichten der Landwirtschaftsausstellung wird ein eigenes Recherche- Projekt auf dem Gelände nachgehen, „Die Gläserne Kuh. Prüfbegehung der agra-Landwirtschaftsausstellung 1981“.
Das agra-Gelände erzählt heute noch von den wirtschaftlichen und ideologischen Umwälzungen in der DDR-Landwirtschaft nach Kriegsende. Und so wird auch Heiner Müllers Klassiker „Die Umsiedlerin“ auf der ag(o)ra Premiere haben: ein Stück, das sich kritisch mit der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR auseinandersetzte und nicht zuletzt deshalb auch zeitweise verboten war.
Die Uraufführung eines Auftragswerkes „Kein Schicksal, Klytämnestra“ von Nino Haratischwili verhandelt die antike Geschichte von Klytämnestra und Kassandra neu — überführt in die Spannung zwischen Tradition und Gegenwart, Veränderung und Vergangenheit. Aufgeführt wird die Geschichte nun an einem Ort, den ebensolche Brüche und Spannungen prägen.
Der Lampenladen startet mit einem Projekt, in dem sich unser Ensemble und Menschen aus der Stadt begegnen werden — musikalisch, choreographisch, inhaltlich: „Neonschatten“ geht der Frage nach, wie man sich der eigenen Stadt in Geschichten nähert.
Premieren
Kein Schicksal, Klytämnestra (UA)
Auftragswerk des Schauspiel Leipzig
von Nino Haratischwili
Regie: Enrico Lübbe
Premiere: 24.4.
Saal
Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande
von Heiner Müller
Regie: Moritz Sostmann
Premiere: 24.4.
Kulturbühne
Neonschatten (UA)
Eine choreographische Inszenierung über Zeit und Geschichte(n)
Regie: Salome Schneebeli
Premiere: 24.4.
Lampenladen
Die Gläserne Kuh (UA)
Prüfbegehung der agra-Landwirtschaftsausstellung 1981
Szenischer Rundgang von Tino Kühn und Falk Rößler
Regie: Falk Röẞler
Premiere: 24.4.
ag(o)ra