Mehr als 30.000 Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus leben allein in München. Würden sie selbst öffentlich über sich und ihre Situation berichten, bestünde die Gefahr, dass sie entdeckt und abgeschoben werden. Das Theater übernimmt die ihm eigene Funktion der Repräsentation: Ein Anwesender spricht für einen abwesenden Anderen. Diese Darstellung geht jedoch über das rein Dokumentarische hinaus. Ablauf, Form und Darstellungsweise des Abends sind der künstlerische Versuch, das komplexe Phänomen Illegalität zu beschreiben, zuzuspitzen, Thesen dazu aufzustellen, Fragen zu entwerfen.
Die Schätzungen, wie viele Menschen ohne offizielle Aufenthaltserlaubnis in München leben, gehen weit auseinander. Man kann die sogenannten Illegalisiserten schlecht zählen und registrieren. Der Soziologe Philipp Anderson hat im Jahr 2003 im Auftrag der Stadt München eine Studie über die Lebenssituation dieser Menschen erstellt. Darin geht er für München von einer Zahl von 30.000 bis 50.000 aus. Durch die EU-Osterweiterung, die als teilweise Legalisierungsaktion funktioniert hat, haben sich die Zahlen in den letzten Jahren sicherlich verändert. Dennoch sind es viele tausend Menschen, die permanent, zeitweise, gewollt und ungewollt in diesem ungeklärten Status unter uns leben.
Was sie aus der ganzen Welt zu uns führt, ist die Unmöglichkeit aus ökonomischen wie politischen Gründen, im Heimatland länger ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sichtbar werden diese Menschen als Arbeitskräfte in der Gastronomie, in privaten Haushalten als Pflege- und Haushaltshilfen und als Sexarbeiterinnen. Illegalisierte Menschen und ihre Familien müssen ihren Alltag organisieren. Sie brauchen Arbeit, Wohnungen und ärztliche Versorgung. Ihre Kinder besuchen Schulen, haben Freunde. Dies alles muss im Verborgenen geschehen. Die Angst, jederzeit entdeckt und damit abgeschoben zu werden, bestimmt das Leben. Es handelt sich bei diesen Menschen und ihren Unterstützern um freie und kaum berechenbare Agenten heutiger, weltweiter Migrationsbewegungen. Sie wenden ein hohes Maß an Geld, Zeit, kreativer Energie und zähem Durchhaltevermögen auf, um hier ihren Traum vom besseren Leben verwirklichen zu können.
Ein wichtiger Teil der Arbeit an diesem Theaterprojekt bestand in einer langen und intensiven Recherche. Es wurden über anderthalb Jahre viele Gespräche und Interviews geführt mit Helferinnen und Helfern, mit Vertretern der Behörden, mit Wissenschaftlern, Ärzten und schließlich mit Betroffenen selbst. Aus diesem Material hat der Autor Polle Wilbert Theatertexte entwickelt, die die Grundlage bilden für die Aufführung an den Kammerspielen.
Das Projekt nimmt die Spur illegalisierter Menschen auf, die sich im Alltag zumeist tadellos verhalten, damit sie nicht erkannt und abgeschoben werden. Sie machen sich unsichtbar. Mit den Mitteln von Theater, Performance, Musik, Film und Diskurs wird ein Bild gezeichnet vom vermeintlich unsichtbaren Leben illegalisierter Menschen in München. Das Theater selbst wird zu einer Zone dieser Unsichtbaren: Freundliche Schleuser führen die Zuschauer in unterschiedlichen Gruppen durch die Foyers und Bühnenräume des Schauspielhauses, bis am Ende alle wieder zusammenkommen zur zentralen Theaterperformance im Bühnen- und Zuschauerraum.
Ursendung des Hörspiels ILLEGAL von Polle Wilbert am 27. Juni 2008, 20.30 hör!spiel!art.mix in Bayern2.
ILLEGAL findet im Rahmen von 850 JAHRE MÜNCHEN statt.
Gefördert durch die KULTURSTIFTUNG DES BUNDES.
Regie Peter Kastenmüller
Bühne Michael Graessner
Kostüme Ayzit Bostan
Dramaturgie Björn Bicker
Musik Kamerakino
Video Stefan Bischoff
Licht Björn Gerum
Mit
Katja Bürkle
Hildegard Schmahl
Melanie Witteborg
Walter Hess
Steven Scharf
Serhat Karakayali
Edmund Telgenkämper
Damien Liger
Kamerakino Polina Lapkovskaja
Sebastian Meyhöfer
Federico Sanchez Nitzl
Martin Schoierer
Manuela Rzytki
Thomas Wühr
und Statisten
Weitere Vorstellungen am 21., und 28. Juni sowie am 5. und zum letzten Mal am 6. Juli um 19.00 Uhr