
Während dieser Intro hockt eine einzelne Person bewegungslos im dunklen Bühnenraum vor einer massiven, dunklen Wand. Mit dem Einsetzen der Musik von Philipp Glass beginnt sich diese Wand zu öffnen, immer wieder zu rotieren und sich in sich selbst zu verschieben. Dahinter kommt eine Gruppe von Tänzer*innen hervor, in warmem Licht sanft ausgeleuchtet. Auch der einzelne Tänzer stößt manchmal dazu. Nicht nur die Wand auch die Gruppe befindet sich zur repetierenden Musik in ständiger Bewegung. Die Wand trennt zwar beide Bereiche - die des Einzelnen und die der Gruppe - ist durch ihre Bewegung aber nicht nur als architektonisches Element zu sehen, sondern mutiert zum zusätzlichen Ensemblemitglied.
Das Bühnenbild ist inspiriert von Skulpturen Richard Serras, mit dem Philipp Glass befreundet war. Die repetierende Musik und die ständige Bewegung versinnbildlichen den Kreislauf des Lebens und die verrinnende Zeit. Am Ende hockt der Tänzer wieder allein vor der stillstehenden Wand. Es war die Imagination des Tänzers, seine Erinnerungen, die in den Bewegungen zum Ausdruck kamen und durch das mal kalte, mal warme Licht, phänomenal ausgeleuchtet von Nicolás Fischtel, die jeweiligen Stimmungen verdeutlichen und fühlbar machen.
Die Bewegungssprache greift das Skulpturale des Wandelements auf und findet zu ausdrucksstarken Bildern, zusammen mit Kostümen, Musik und Architektur bildet sie eine verwobene Einheit. Die beeindruckende, temporeiche Choreographie überzeugte auf ganzer Linie und fand beim Publikum entsprechend enthusiastischen Anklang.
Die zweite Choreographie "Invocation" von Mthuthuzeli November, auch eine Uraufführung, beginnt ebenfalls mit einer einzelnen Person auf der Bühne, die mit langen Haaren ihr Gesicht vollkommen verdeckt. Sie sitzt vor einer filigranen halbrunden Holzwand, die an eine afrikanische Hütte erinnern soll. Auch hier kommen hinter dieser Wand, die hoch gelupft wird, allmählich eine Gruppe Tanzender, von einem Lichtstreifen am Boden grell beleuchtet, hervor. Und auch hier geht es um Erinnerungen. Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten mit dem vorherigen Stück.
Die Erinnerungen beziehen sich auf eine Begebenheit in der Kindheit des Choreographen, als in der Hütte seines Vaters ein Ritual stattfand, das die Vorfahren beschwören sollte mit der Bitte um Hilfe und Fürsorge. Da diese Erinnerungen an den Kult vage sind, sind es vor allem die Gefühle, die erinnert werden. Der Einzelne wird gespiegelt in der Figur des wild tanzenden Magiers in rot-blauem Zottelkostüm. Sein Gesicht ist hinter einer Maske verborgen und ist damit ebenso wenig zu sehen wie das Gesicht der Figur des Alter Ego des Choreographen.
Es gibt keine Abgänge der Tanzenden, die Gemeinschaft bleibt während des verklärten traumhaften Geschehens auf der Bühne anwesend. Mthuthuzeli November versucht, die afrikanische Bewegungssprache mit der europäisch-klassischen Ballettsprache zu verknüpfen, um eine Synthese seiner persönlichen Erfahrungen herzustellen. Nach der begleitenden Live-Musik von Alex Wilson ertönt zum Schluss die westafrikanische, sprechende Trommel mit dem Gesang der Sängerin Babalwa Zimbini Makwetu vom Band. Auch dieses Stück fand beim Publikum begeisterte Anhänger.
Zu einer ganz anderen Ausdrucksform von Erinnerung, findet das dritte Stücke des Abends "Vers un Pays Sage" von Jean-Christophe Maillot zur Musik "Fearful Symmetries" von John Adams. Es wurde am 29. Dezember 1995 in Monte-Carlo uraufgeführt und ist eine Hommage an den Maler Jean Maillot, den Vater des Choreographen, der im gleichen Jahr der Uraufführung verstorben ist. Der Titel des Stückes bezieht sich auf sein Bild" Pays Sage", das in seiner letzten Ausstellung zu sehen war und dann auch als Letztes als Einblendung auf der Bühne zu sehen ist. Ein farblich sich stetig verändernder Bühnenhintergrund von Hellgrün zu Varianten von Blau, Grau, Gelb und Weiß lässt eine ganze Farbpalette aufscheinen. Nur kurz von einer Sequenz mit Bewegungen in Zeitlupe unterbrochen wird zur vorwärtsströmenden, mit Synthesizer und Saxofon angereicherten Musik in einem ununterbrochenen Strom ohne Pause temporeich getanzt. Darin spiegelt sich die Energie und Lebenslust des Malers, eines unermüdlich arbeitenden Künstlers wider. Facetten seines Lebens werden angedeutet. Es ist ein emotionales, vorwiegend heiteres Stück, mit dem der Choreograph das Leben seines Vaters erinnert, ihn würdigt und von ihm Abschied nimmt. Präzise vom Ballett am Rhein aufgeführt fand das eindrucksvolle Werk, das sich in der Formensprache am klassischen Ballett orientiert, beim Publikum enthusiastischen Beifall.
Wie der Titel des Abends "Kaleidoskop" andeutet sind es Splitter, die hier ganz verschiedene Formen erscheinen lassen. Die gemeinsame Klammer der sehr unterschiedlichen Arbeiten ist die Erinnerung. Ein facettenreicher Abend, sehenswert!
Moto perpetuo
Choreographie: Iratxe Ansa, Igor Bacovich
Musik: Philip Glass
Bühne mit EstudiodeDos: Curt Allen Wilmer, Leticia Gañán
Kostüme: Stefanie C. Salm
Licht: Nicolás Fischtel
Tänzer*innen:
Márcio Mota, Alejandro Azorín, Yoav Bosidan, Joan Ivars Ribes,
Phoebe Kilminster, Norma Magalhães, Skyler Maxey-Wert, Dukin Seo,
Rafael Vedra, Elisabeth Vincenti
Invocation
Choreographie, Bühne und Musik: Mthuthuzeli November
Musik: Alex Wilson
Kostüme: Yann Seabra
Bühne: Helena du Mesnil de Rochemont
Licht: Volker Weinhart
Tänzer*innen:
Joao Miranda, Long Zou, Camilla Agraso, Lotte James, Niklas Jendrics,
Nelson López Garlo, Pedro Maricato, Clara Nougué-Cazenave,
Chiara Scarrone, Eric White
Vers un Pays Sage
Choreographie: Jean-Christophe Maillot
Musik: John Adams
Bühne: Jean-Christophe Maillot, Dominique Drillot
Kostüme: Jean-Christophe Maillot, Jean-Michel Lainé
Licht: Dominique Drillot
Choreographische Einstudierung: Bernice Coppieters
Tänzer*innen:
Sophie Martin, Nami Ito, Emilia Peredo Aguirre, Ako Sago, Francesca Berruto, Elisabeth Vincenti, Skyler Maxey-Wert, Lucas Erni, Damián Torío, Orazio Di Bella, Olgert Collaku, Vinícius Vieira
Düsseldorfer Symphoniker