Trotz bemerkenswerter Erfolge wurde auch seine Sparte von Einsparungen bedroht und sogar von Nachbarn angefeindet – wer Ballett sehen will, solle doch nach Dortmund, Essen oder Gelsenkirchen fahren, Hagen brauche keine eigene Compagnie. Freundlich hielt er dagegen und auf diese Weise die Krisen aus. Inzwischen spricht man von der »Ära Fernando«, die sich aktuell schon im elften Jahr bewährt.
1960 im brasilianischen Goiania geboren, erhielt Ricardo Fernando seine tänzerische Ausbildung in Brasilia. Sein erstes Engagement führte ihn 1983 nach Rio de Janeiro, und von 1984 bis
1987 tanzte er dort als Solist im berühmten Teatro Municipal. Seit 1988 arbeitet er in Europa, zunächst als Tänzer und Ballettdirektor in St. Gallen, ab 1992 als Solist am Opernhaus in Zürich. Im Jahr 1993 ging er als Ballettdirektor und Chefchoreograph an das Stadttheater Bremerhaven, das er bis 2003 leitete – für zwei Spielzeiten zeitgleich und in den selben Funktionen wie das Theater Chemnitz, auf das er sich in der Spielzeit 2000/01 dann ausschließlich konzentrierte. In den folgenden Jahren arbeitete
er in gleicher Position, als Ballettdirektor und Chefchoreograph, eine Saison in Pforzheim sowie zwei Spielzeiten in Regensburg.
An das Theater Hagen wechselte er 2003. Dort fing er mit einem »Tango« in der ersten Spielzeit an, gefolgt vom bekannten Handlungsballett »Romeo und Julia« zu Prokofjews legendärer Ballettmusik. Und mit einer vielfältigen Mischung aus bewährten Klassikern und tänzerischem Neuland ging es über ein Jahrzehnt weiter: Abendfüller wie »Ein Sommernachtstraum« und »Giselle« führten anschaulich vor Augen, wie solche Werke durchaus mit einer kleineren Compagnie über die Bühne gehen können. Für seine »Rituale« fügte Ricardo Fernando eigene Versionen von modernen Klassikern an einem Abend zusammen: »Sacre«, »L’après midi d’un Faune« und »Les Noces«. Seine choreographische Handschrift verfügt über das akademische Bewegungsvokabular ebenso wie über die zeitgenössische Tanzsprache.
Weitere beispielhafte Werke waren »Der Feuervogel« (2009/10) und »Dornröschen (Reloaded)« in der Spielzeit 2011/12. »Bolero« wurde in einer Kritiker-Umfrage zum besten Tanzstück Nordrhein-Westfalens gewählt. Mit »Estação Esperança« und »Brabrabrasil« nahm der Choreograph Ricardo Fernando Bezug zu seinem Heimatkontinent. Auch Gastchoreographen lud der Hausherr ein, und für die Internationale Aids-Tanzgala kamen renommierte Stars nach Hagen.
Im »Ballroom Dance« bewegen sich Kinder und Jugendliche, das Tanzprojekt »Closing the Gap« widmet sich Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung. Kinder unter zwölf Jahren
tanzen in Hagen für »Meine Freunde. Meine Nachbarn«, und alle drei Initiativen strahlen als künstlerische und soziale Projekte längst in den kulturellen Alltag der Stadt aus. Unter dem Titel »Platzwechsel« haben Tänzer der Compagnie die Möglichkeit, erste choreographische Schritte zu wagen. Gemäß Vorhersage ist es unter Ricardo Fernandos künstlerischer Leitung tatsächlich gelungen, eine Ballettrenaissance am Theater Hagen einzuleiten.