In einem Interview mit Philipp Schaus bekundet sie: "Tanz und Traum sind für mich Wege, aus der Zeit herauszutreten, in eine besonders offene Wahrnehmung zu gelangen, in einen tieferen, kreativeren Geisteszustand."
Ein Rückwärtsgang, die Sneakers nach hinten weggekickt, Louise Lecavalier macht sofort klar: es gibt keinen Blick zurück, wir sind im Hier und Jetzt. Was zählt ist die Präsenz, das Im Moment-Sein. Vor einem Bildschirm mit vibrierenden Pixeln, erscheint sie sekundenlang selbst verpixelt. Immer in Bewegung sein, wie der Strom der Gedanken, die sich nicht abstellen lassen. Die Technobeats geben die Schnelligkeit der Bewegungen vor. Bei Lecavalier sind Gesten genauso wichtig wie Beinarbeit und so wird der Blick der Zuschauenden auf die exzessive Arbeit ihrer Hände gezogen. Zittern und Zuckungen, Mikrovibrationen und immer wieder zitterndes Klopfen mit den Fingern auf die Brust im Herzbereich gehören zu ihrem Kern-Bewegungsrepertoire.
In schwarzer Hose mit einem breiten roten Galonstreifen auf jedem Hosenbein, ein schwarzer Hoody unter einem schwarzen, langen, offenen kimonoartigen Mantel, so ist sie gekleidet. Das schnelle Tempo hat nun zu einem ruhigeren Rhythmus gefunden, die Musik führt zu meditativen Momenten. Manchmal blitzt eine Erinnerung an ein fremdes, tradiertes Bewegungsmuster für Sekunden splitterhaft auf: an die Trippelschritte wie sie die alten Japanerinnen in ihren Getas ausführen, an indische Tempeltänzerinnen, an eine alte weise Frau, ein Hutzelweib, eine Märchenhexe. Mitunter trägt auch die kunstvolle Verformung der Kleidung durch Louise Lecavalier zu diesem Erinnerungsfetzen bei. Dann wieder erscheint sie fast skulptural, wenn ihr Körper unter der überzogenen Kleidung verschwindet, sich vergrößert, sich auflöst, verschmilzt. Das sind magische Momente.
Statt Androgynität wie in früheren Arbeiten scheint jetzt bei "Danses vagabondes" Weiblichkeit das Thema zu sein. In ihrem Solo spielt sie mit der stereotypen Zuordnung wie ein weiblicher Körper zu beschaffen sein hat, spürt den Strömen der Energie nach. Mit äußerster Präzision führt sie jede ihrer Bewegungen fließend aus, die kraftvoll sind und doch locker und unangestrengt wirken.
Zum Schluss erscheint auf dem Bildschirm im Hintergrund eine riesengroße fraktale Blütenrosette, die sich in den Bühnenraum hineinzuschieben scheint, sich dann mehr und mehr verringert, bis sie sich als ein Bienenschwarm entpuppt, der sich wiederum in abstrakten Formen auflöst, eine Bildsequenz so poetisch wie rätselhaft.
Wahre Begeisterungsströme mit langem Applaus ehrten Louise Lecavalier und ihr wunderbar dynamisches und rauschhaftes Stück.
Choreografie, Performance: Louise Lecavalier
Choreografie Assistenz, Probenleitung: France Bruyère
Lichtdesign: Jean-François Piché
Musik: Dawn of Midi, The Black Dog, Antoine Berthiaume, Kiasmos, Nils Frahm, Trentmoller, Nick Cave
Musikberatung: Patrick Lamothe
Künstlerische Beratung: François Blouin
Kostüm: Yso
Produktions- und technische Leitung: François Marceau
Eine Produktion von Fou glorieux. Koproduziert durch tanzhaus nrw, Hellerau Dresden, FTA Montréal und National Arts Center Ottawa. Mit Unterstützung durch Conseil des arts et des lettres du Québec, Canada Council for the Arts und Montreal Arts Council
Gefördert durch das Bündnis internationaler Produktionshäuser, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.