Die Abflughalle eines Flughafens ist sozusagen das globale Dorf, in dem sich Menschen unterschiedlichster Kulturen begegnen. Und genau diesen Ort hat Akram Khan für sein Stück "Bahok" gewählt. "Bahok" ist das bengalische Wort für einen Lastenträger, und nun könnte man sich fragen, welche Lasten hier gemeint sind. Heimat, die man als Last mit sich trägt? Zunächst einmal ist nicht die Heimat der Ort der Sehnsucht, sondern eher die Anzeigentafel, zu der die acht Tänzerinnen und Tänzer stürzen, sobald Bewegung in die Schriftzeichen kommt, die aber nach einer Reihe sinnloser Codes nur "Please wait" aufblättert, genau das was man bisher getan hatte und auch weiterhin wird tun müssen. Und so wird der Zuschauer Zeuge der allbekannten Tätigkeiten im Warteraum des Flughafens: man schläft, trinkt Wasser, liest Zeitung, telefoniert mit dem Handy, langweilt sich, versucht ein Gespräch aufzunehmen. Dennoch war es no nie so amüsant wie bei "Bahok" Wartenden zuzuschauen.
Eine junge Frau (Eulalia Ayguade Farro) versucht sich jedem aufzudrängen. Das lange Warten hat sie ihre Herkunft und ihren Namen vergessen lassen, den sie immerhin auf zerknüllten Papieren notiert hat. Auch sie fordert immer wieder zum Warten und zur Geduld auf, wenn sie versucht, sich ihren Gesprächspartnern mitzuteilen. In ihrer Verwirrung möchte sie mit dem Handy die Anzeigentafel wie mit einer Fernbedienung umzappen. "Rescheduled", "Delayed", "Air", "Water", "Earth" zeigt diese im Verlauf des Abends an. Und wir lernen alle Protagonisten an diesem Abend in eindrucksvollen Soli oder bei einem modernen Pas de deux kennen. Z.B. den scheinbar unbeteiligten, ständig mit dem Handy telefonierenden Inder, den Koreaner, der sich der englischen Passkontrolle nicht mitzuteilen vermag und seine Freundin, die die Situation durch ihr Geplapper noch erschwert, die Frau, die die Schuhe ihres Vaters im Rucksack als Erinnerung an die Heimat mich sich trägt, die kollabierte Frau, die von ihrem Freund soweit reanimiert wird, dass sie zu einem eindrucksvollen Kathak-inspiriertem Pas de deux fähig ist. Als ein Passagier durchdreht, finden sich alle zu einer großartigen Umarmung zusammen. Das Stück schließt mit einem bewegenden Ensembletanz.
"Bahok" hatte im Januar in Peking seine Uraufführung und ist jetzt im Tanzhaus NRW im Rahmen eines beginnenden Tanztheateraustausches mit China als deutsche Erstaufführung zu sehen. Akram Khan, Brite indischer Abstammung, hat für sein jüngstes Stück zeitgenössische Tänzer seiner eigenen Kompanie mit klassisch ausgebildeten Tänzern des National Ballet of China zusammengebracht. In "Bahok" beschäftigt er sich mit Fragen, die uns alle betreffen, nämlich der Identität des Einzelnen, der Bedeutung der Herkunft und Heimat und wie sich das beim modernen Nomadentum bewahren lässt und wie man dennoch Brücken zueinander baut. Das Ganze ist mit einer Leichtigkeit inszeniert, die weder Schwermut noch Langeweile aufkommen lässt. Und Nitin Sawhneys Musik lässt die Inszenierung pulsieren.
Künstlerische Leitung, Choreografie: Akram Khan
Musikkomposition: Nitin Sawhney
Tanz: Eulalia Ayguade Farro, Saju, Young Jin Kim, Meng Ning Ning, Andrej Petrovic, Sun Chia Ying, Wang Yitong, Shanell Winlock, Zhang Zhenxin
Musikalische Beratung China: Gisele Edwards
Licht-Design, Management Technik: Fabiana Piccioli
Koordination Technik: Sander Loonen
Bühne: Akram Khan, Fabiana Piccioli, Sander Loonen
Dramaturgie: Guy Cools
Probenleitung: Shanell Winlock
Produzent: Farooq Chaudhry; © Liu Yang
Dauer: ca. 75 min. ohne Pause
Nächste Aufführungen in Düsseldorf: 4. und 5. April 2008