Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
DIE POLITIK HAT SICH GEIRRT -- "Nostalgia Up & Down" und "Weisse Elefanten"im Kammertheater STUTTGARTDIE POLITIK HAT SICH GEIRRT -- "Nostalgia Up & Down" und "Weisse Elefanten"im...DIE POLITIK HAT SICH...

DIE POLITIK HAT SICH GEIRRT -- "Nostalgia Up & Down" und "Weisse Elefanten"im Kammertheater STUTTGART

am 29.11.2024

"Läuterung kostet aber, und Aristoteles wusste es". Das Citizen.KANE.Kolletktiv Stuttgart und das Centrul Replika (Bukarest) untersuchten theatralisch Zensur und Repression in Deutschland und Rumänien. Zensur hatte in der darstellenden Kunst auch einen großen Einfluss auf die Theaterästhetik des 20. Jahrhunderts. Die beiden Theaterkollektive fragten sich nun, welche unbewussten Muster Zensur und Repression hinterlassen haben. In der rumänischen Produktion untersuchten drei unbefangene Experten soziale und politische Ereignisse aus den 80er Jahren.

 

Copyright: Iona Dutz

In der subtilen Regie von Radu Apostol agierten die drei Schauspieler Mihaela Radescu, Silvana Negrutiu und Viorel Cojanu virtuos und wandlungsfähig. Das Rumänien des Diktators Nicolae Ceausescu wurde plötzlich wieder lebendig. Dabei wurde auch die Selbstfinanzierungspolitik der Kultur scharf unter die Lupe genommen.

"Weiße Elefanten" mit dem Citizen.KANE.Kollektiv ist dagegen ein Stück über die Freiheit der Kunst und die Kunst der Freiheit. Heiner Müllers "Hamletmaschine" wird  thematisiert. Es geht auch um den Selbstmord seiner Frau Inge im Jahre 1966, die wie die Lyrikerin Sylvia Plath ihren Kopf in den Gasherd legte. So heißt es bei Müller: "Ich bin Ophelia. Die der Fluß nicht behalten hat. Die Frau mit dem Kopf im Gasherd...

Eine Regisseurin arbeitet hier an einer neuen Produktion über deutsche Geschichte. Und ein undurchsichtiger Autor und übereifrige Schauspieler vervollständigen die Theatertruppe. Die Regisseurin hat sich entschieden, außerhalb geordneter Strukturen im Untergrund zu arbeiten. Zensur und Überwachung sind alltäglich: "Steh' auf!" und "Setz' dich wieder hin!" Die Darsteller  Lisa Heinrici, Simon Kubat, Malin Lamparter, Ida Liliom, Katharina Fast, Christian Müller, Maximilian Sprenger, Reinhard Kopp, Gala Adam, Christine Bentele, Michaela Brosch und Phil Wegerer ließen die Erinnerung an die "friedliche Revolution" 1989 Revue passieren. Die damals immer größer werdenden Demonstrationen in der DDR und das Aufbegehren gegen die SED-Führung wurden in erfrischender Weise thematisiert. Auch das Leid der Frauen war immer wieder ein brennendes Thema: "Männer, die nicht wollen, dass sie erfolgreich ist!" Da schwangen die Protagonisten plötzlich Fahnen wie bei der Französischen Revolution: "Die Politik hat sich geirrt!"

Und das Publikum erfuhr, dass man das Theaterkollektiv schützen wolle. "Haben Sie für diese Karte bezahlt?" fragte man ultimativ in die Runde. Maskenspiele im Videoformat beherrschten das Geschehen, draußen im Foyer erinnerten Plakate an die Ausbürgerung Wolf Biermanns. DDR-Unrecht zeigte sich in immer neuen Facetten: "Es ist alles nur eine Lüge!" Drinnen spielte die Rockband heiße und fetzige Musik. Die Texte erinnerten daran, dass bei der "friedlichen Revolution" das Ensemble des Staatsschauspiels Dresden nach der Vorstellung den Text "Wir treten aus unseren Rollen heraus" vortrug. Motto: Theater kann und muss sich einmischen.

Von dieser wichtigen Intention erzählte auch dieser sehenswerte Theaterabend in abwechslungsreichen, tragisch-heftigen und humorvollen Bildern, die sich stark einprägten. Man erfuhr außerdem, wie sehr Gerechtigkeit in vielen Situationen fehlt. Als "Weisser Elefant" wurde die Strategie bezeichnet, Szenen in Stücken gegen die Regeln verstoßen zu lassen, um von anderen Stellen abzulenken. Was ist der Soundtrack eines widerständigen Theaters? Kann Kunst gefährlich sein? Diese zentralen Fragen standen im Raum.  Das Publikum wurde dabei in die Handlung mit einbezogen, durfte sogar mehrmals die Augen schließen und aufstehen. Natürlich blieben Fragen offen - aber es wurde der spannende Versuch unternommen, neue Theaterformen zu erfinden: "Blicken wir lieber in die Zukunft!" Facebook, Instagram und andere Blogs spukten hier in den Köpfen der Protagonisten herum, die die mangelnde Freiheit in der Politik attackierten.

"Ewige Dunkelheit für das Geld!" lautete eine Forderung. Der Scheiterhaufen war immer präsent. Die Schauspieler fühlten sich wie auf einer kleinen Insel isoliert - aber frei. Die Prostituierte oder die Prinzessin spielten Hauptrollen. Und es gab breiten Protest gegen eine Regisseurin, die das Theaterkollektiv schändete! Stürmischer Schlussapplaus.
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 19 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

DIE POLITIK HAT SICH GEIRRT -- "Nostalgia Up & Down" und "Weisse Elefanten"im Kammertheater STUTTGART

"Läuterung kostet aber, und Aristoteles wusste es". Das Citizen.KANE.Kolletktiv Stuttgart und das Centrul Replika (Bukarest) untersuchten theatralisch Zensur und Repression in Deutschland und…

Von: ALEXANDER WALTHER

RÄTSELHAFTE SCHATTENSPIELE -- Mozarts "Idomeneo" in der Staatsoper Stuttgart

Für den Regisseur Bastian Kraft ist Mozarts Oper "Idomeneo" zum einen ein geradezu archaischer Mythos, zum anderen eine intime Familiengeschichte. Es geht hier um einen König, der sich gegen Götter…

Von: ALEXANDER WALTHER

SEELISCHES ERLEBEN DER MUSIK -- Klaviertrios im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Was haben Schubert, Brahms und Tschaikowsky gemeinsam? Wohl den Blick für das seelische Erlebnis der musikalischen Sprache. Drei Professoren der Hochschule für Musik und Theater München bestritten…

Von: ALEXANDER WALTHER

GEWALTIGE ANFORDERUNGEN AN DIE SOLISTIN -- Stuttgarter Philharmoniker mit Anna Tifu (Geige) im Forum am Schlosspark LUDWIGSBURG

Die Akademische Festouvertüre op. 80 ist der musikalische Dank von Johannes Brahms für die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Breslau. Er verwendete hier für die Themen auch…

Von: ALEXANDER WALTHER

BLICK IN ABGRÜNDE -- "Lulu" von Alban Berg in der Oper Frankfurt

Die Ambivalenz der Frauenfigur Lulu kommt in dieser Inszenierung von Nadja Loschky im eher schroffen Bühnenbild von Katharina Schlipf und den Kostümen von Irina Spreckelmeyer voll zur Geltung. Lulu…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑