Man spürt bei Döblin die Einflüsse von Joyce und Dos Passos und erlebt die Welt als furchterregendes Pandämonium, das Himmel und Hölle umfasst. Die Rhythmen und Melodien kommen auch dank der suggestiven Musik von Peter Fasching überzeugend zum Ausdruck. Dass sich Franz Biberkopf hier quasi in zwei Personen aufspaltet, ist eine besondere Stärke dieser Inszenierung. Dem tragen auch die Kostüme von Kamila Polivkova Rechnung. Biberkopf streunt dabei als ehemaliger Zuchthäusler wirr durch Berlin und verstrickt sich in kriminelle Machenschaften, die ihn wieder unter die Räder bringen. Sexuelle Abenteuer werfen ihn ebenfalls aus der Bahn - und am Ende verliert er seinen Arm, seinen Verstand und seine Geliebte Mieze, die als Prostituierte für ihn arbeitet. Als sie ein Kind von einem anderen abtreibt, wird er wieder gewalttätig. Dies treibt Mieze in die Hände von Reinhold, der sie bestialisch ermordet. Dieser Mord wird in quälender Länge auf offener Bühne gezeigt und geht bis an die Schmerzgrenze.
Auch wenn hier die Gefahr besteht, dass Teile der Handlung einfach auseinanderfallen, kommt die Steigerung der dramaturgischen Spannung dennoch gut zum Vorschein. Die Traumatisierung Biberkopfs könnte sogar noch drastischer herausgestellt werden. Dies alles geschieht in dieser suggestiven Inszenierung sehr direkt und schonungslos. Der Protagonist wird zum Opfer seiner Ahnungslosigkeit, seines Alkoholismus, seiner Tobsucht und mangelnden Menschenkenntnis. So wird er zum Verlierer seiner Zeit und seiner Geschichte. Neben Sylvana Krappatsch und Rainer Galke als wandlungsfähiger Biberkopf fesseln die weiteren Darsteller David Müller und Michael Stiller und vor allem die grandiose Celina Rongen als Sonja und Mieze. Neben Assoziationen zu den "schwulen Buben" wird eine SA-Kapelle erwähnt - und Celina Rongen gibt dem Publikum im Zuschauerraum eine "Anweisung für den Orgasmus". Das wirkt stellenweise sogar satirisch übertrieben und nicht aufgesetzt.
Überall herrscht "Spelunkenalarm", man erlebt als Zuschauer ganz unmittelbar das gewaltige innere Ringen Biberkopfs mit seinen zwei Polen. Als "Lude" und Zuhälter fristet er schließlich sein Dasein. Die Gespenster der Vergangenheit lassen ihn nicht los, Schatten und Licht dominieren immer wieder auf der Bühne, grelle Scheinwerfer blenden die Zuschauer. Die bedrückende Angst vor der Gegenwart beherrscht dabei alle Darsteller. Das Scheitern der Resozialisierung steht grell im Mittelpunkt. Biberkopf wird tatsächlich zum zufälligen Mitläufer, der sich nicht zu helfen weiß. Das Romanende lässt Fragen offen - und so ist es auch bei dieser insgesamt gelungenen Inszenierung.
Döblin hat diesen Roman geradezu wahrheitsfanatisch geschrieben. In der psychologischen Beschreibung der komplizierten Charaktere spürt man die Erfahrung des niedergelassenen Kassenarztes mit schwierigen Patienten. Alfred Döblin war wohl ein Mediziner, der weiter dachte und über den Tellerrand hinausschaute. Als Armenarzt beschäftigte er sich in Ost-Berlin vor allem mit innerer Medizin und Nervenkrankheiten. Diese Inszenierung hinterlässt jedoch einen anderen Eindruck als etwa die Fassbinder-Verfilmung mit Günter Lamprecht als Franz Biberkopf aus den achtziger Jahren, die als Fernsehserie lief. Dort zerfiel die Handlung in viele Teile, bei Parizeks Inszenierung wirkt alles sehr komprimiert. Gerade der Schluss macht hier nachdenklich: "...man hat Zeit gehabt, sich drum zu kümmern."
Dabei treten Sylvana Krappatsch auch als "Sylvana" und Rainer Galke als "Rainer" auf. Galke parodiert sogar einen Wiener Psychiater. Es entsteht so immer wieder eine hintersinnige Ironie. Michael Stiller fesselt das Publikum dann noch mit einem melancholischen "Berlin"-Song. Es ist eine Aufführung, die vor allem wegen den hervorragenden schauspielerischen Leistungen sehenswert ist. So gab es zuletzt viele "Bravo"-Rufe.