Die Kostüme von Kathrin Frech lassen die jungen Damen mit Pferdeköpfen auftreten. Der Typus des einsam reitenden Helden wird immer wieder virtuos variiert. Es geht bei den drei Protagonistinnen auch um die Suche nach Gerechtigkeit in einem korrupten System. Der gekränkte Rechtsanspruch lässt sich nicht immer einfordern. Die Nebenfiguren scheitern in tragischer Weise an der Hauptfigur. Ein Chor von Pferdemädchen erobert sich die Koppel zurück und schwingt sich zu Kohlhaas aufs Pferd. Wut wird dabei als emanzipatorischer und queer-feministischer Akt präsentiert.
Auf seinem Weg nach Dresden werden dem Pferdehändler Michael Kohlhaas vom Junker Wenzel von Tronka unrechtmäßig zwei seiner Rappen als Pfand für einen Passagierschein genommen. Die beiden Pferde werden für die Feldarbeit missbraucht. Und trotz wiederholter Appelle bleibt Michael Kohlhaas eine rechtmäßige Entschädigung für diese Ungerechtigkeit verwehrt. Immer wieder scheitert er am Netzwerk von einflussreichen Freunden und Verwandten des Junkers. Seine Klagen werden deswegen von den Gerichten abgewiesen. Und vor allem sein zerstörerischer Rachefeldzug wird hier von den jungen Frauen (die zuweilen wie extravagante Diven auftreten) gleichsam karikiert. Das Stück fragt ganz deutlich nach der produktiven Kraft der Wut im Kampf um Teilhabe und demokratische Werte. Als Gegenstück zu diesem einsam reitenden Helden erscheinen die Mädchen, die sich in suggestiver Weise der Heldenfigur und ihrer Erzählung annehmen. Eine tragische Sequenz ist auch die berührende Schilderung des Todes von Kohlhaas' Frau, die von einer Lanze getötet wird. Dies stachelt den Zorn des Kohlhaas noch weiter an, der mit seinen Truppen raubend und plündernd durchs Land zieht.
Der Herdentrieb dieser Mädchen wird hier aber auch immer wieder in satirischer Weise ad absurdum geführt. In der Erzählung von Heinrich von Kleist wird Michael Kohlhaas zuletzt ja zum Tode verurteilt und auf dem Schafott hingerichtet, nachdem er den Zettel der ungünstigen Prophezeiung für den Kurfürsten von Sachsen zuvor verschluckt hatte. Dieses tragische Ende des Titelhelden wird bei Merle Zurawski geschickt verschleiert. Sie schafft sich eine eigene Traumversion des Stoffes, in der die jungen Frauen in poetischer Weise im Mittelpunkt stehen. Unter dem gewaltigen nächtlichen Sternenhimmel philosophieren sie über Gott und die Welt, vor ihnen brennt ein Feuer. Vielleicht ist es auch das Feuer der Liebe, das sie in diesem Moment zusammenschweisst.
Man erfährt, dass es sich bei dieser Handlung eigentlich nur um ein "Vorspiel" handelt, denn nur eine Schauspielerin wird für die Rolle in "Michael Kohlhaas" engagiert. Es entsteht also eine neue Szene in der eigentlichen Handlung. Jetzt kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Pferdemädchen. Die Solidarität zerbricht plötzlich. Es ist ein Trick der Regie, der den Zuschauer durchaus fesselt. Dies illustriert auch eindringlich die Musik von Dmitry Klenin (Sounddesign: Cäcilie Willkommen). Die Statisterie mit Daniela Krol-Zenkowitz, Ilse Rucki sowie Julia und Matthias Vetter integriert sich gut in das Handlungsfeld, obwohl es manchmal zu szenischen Brüchen kommt.
Die Form des kollektiven Erzählens ist in diesem Stück ausgesprochen reizvoll. Da wird die Perücke einfach auf einen großen Stab gehängt und es erscheint plötzlich der Engel der Gerechtigkeit. Der Philosoph Ernst Bloch bezeichnete Michael Kohlhaas als "Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität". Es handelt sich hier also auch um einen vergeblichen Kampf gegen Windmühlen, den zumindest Kohlhaas verliert. Noch vor dem Beginn des Stücks hört man im Foyer Pferdegetrappel, man versetzt den Zuschauer in gewisser Weise in die Welt des 16. Jahrhunderts. Im Zuschauerraum sprechen plötzlich viele Pferdeköpfe im raffiniert arrangierten Videodesign. Gleichzeitig verteilen Assistentinnen Popcorn und Zuckerwatte an die Zuschauer, um sie in die Gegenwart zurückzuholen. Mit dieser fantasievollen Arbeit schließt Merle Zurawski das Regiestudium an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg ab (choreographische Mitarbeit: Rebecca de Toro; Videodesign: Maja Litzke).
Viel Schlussapplaus und "Bravo"-Rufe.