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NÄCHTLICHE PARALLELWELTEN -- Wiederaufnahme "Rusalka" von Antonin Dvorak in der Staatsoper STUTTGARTNÄCHTLICHE PARALLELWELTEN -- Wiederaufnahme "Rusalka" von Antonin Dvorak in...NÄCHTLICHE...

NÄCHTLICHE PARALLELWELTEN -- Wiederaufnahme "Rusalka" von Antonin Dvorak in der Staatsoper STUTTGART

am 15.2.205

In der subtilen Regie von Bastian Kraft (Bühne: Peter Baur; Kostüme: Jelena Miletic) wird der schöne Schein im Scheinwerferlicht hervorgehoben. Hinzu kommen die raffinierten Video-Effekte von Sophie Lux. Es geht auch um ein bewusstes Spiel mit Geschlechterklischees und eine betont märchenhafte Atmosphäre. Tief im Wald tummeln sich Märchenwesen an einem See. Und nur die Nixe Rusalka will Mensch werden, denn sie liebt einen Prinzen.

 

Copyright: Matthias Baus

Dafür muss sie ihre Gestalt aufgeben und der Hexe Jezibaba ihre Stimme überlassen. Sie bleibt aber nur Fantasie für den Prinzen. Rein aus Trotz verführt ihn eine Fremde Fürstin und Rusalka wird Opfer ihres Fluchs. Die Beziehung zum Prinzen scheitert, sie muss als Irrlicht Fremde ins Verderben locken. Der Prinz entlockt ihr einen letzten fatalen Kuss. Rusalka geht alleine in eine Ewigkeit in Verdammnis.

In anderen Inszenierungen werden Missbrauch und Zwangsprostitution thematisiert. Hier jedoch herrschen schillernde Kreaturen der Nacht, die Drag-Performerinnen sind. Bastian Kraft karikiert dabei Dvoraks Wald- und Wasserwesen. Man sieht die Gesichter der Fremden Fürstin und Rusalkas im Video-Großformat. Es ist die lustvolle Dekonstruktion einer Welt, in der es eigentlich nur Mann und Frau geben kann. Das Verhältnis von Stimme und Körper bleibt in der Schwebe. Bastian Krafts Inszenierung zeigt zwei Welten, die ihre eigenen utopischen Momente formulieren. Es kommt trotzdem zur Katastrophe.

Musikalisch sorgt Oksana Lyniv am Pult des Staatsorchesters Stuttgart für viele Glanzpunkte. Brahms und Wagner blitzen hervor - und doch kommt die unverwechselbare Tonsprache Dvoraks voll zu ihrem Recht. Die Triebkräfte der späteren Handlung zeigen sich bereits elektrisierend in der Ouverüre. Auch das unheilvolle Drohen des Wassermanns erhält markante Gestalt. Vielerlei Stimmungen beherrschen den ersten Akt. Esther Dierkes gestaltet als Rusalka in wunderbarer Weise den Monolog "Gleitender Mond, du, so silberzart" (Choreografie Rusalka: Reflektra/Joel Small). Die dynamischen Steigerungen erreichen bei Oksana Lyniv erstaunliche Siedegrade. Die rauschende ritterliche Festmusik bildet einen starken Kontrast zur übersinnlichen Welt des Geisterreichs. Wie sehr Dvorak das Lyrische und Gefühlsbetonte bevorzugt, macht Oksana Lyniv als einfühlsame Dirigentin an diesem Abend einmal mehr deutlich. Wagners Einfluss zeigt sich in der Verwendung gewisser Leitmotive und harmonischer Strukturen. Die melodischen Höhenflüge werden immer wieder in geradezu überschwänglicher Weise ausgekostet!

Ein besonderer Höhepunkt ist außerdem Rusalkas Arie "In deiner uralten Weisheit weißt du alles", bei der sie die von der Mezzosopranistin Katia Ledoux mit grandiosem Volumen gesungene Hexe Jezibaba um Hilfe anfleht. Rusalka und die Hexe werden von den "Drag-Queens" Reflektra und Judy LaDivina begleitet - die Figuren spalten sich also in zwei Persönlichkeiten auf, was manchmal stärker und ein anderes Mal schwächer wirkt. Kai Kluge gestaltet mit leidenschaftlich aufsteigenden Phrasen und wandlungsfähiger Tenorstimme den Prinzen, der zwischen Rusalka und der Fremden Fürstin (fulminant: Diana Haller) rettungslos hin- und hergerissen ist. Adam Palka (Bass) und Alexander Cameltoe verkörpern den Wassermann eindrucksvoll. In weiteren Rollen überzeugen Torsten Hofmann als Heger, Itzeli Jauregui als Küchenjunge, Natasha Te Rupe Wilson & Vava Vilde als Erste Elfe, Catriona Smith & Lola Rose als Zweite Elfe, Leia Lensing & Emily Island als Dritte Elfe sowie Alberto Robert als Jäger. Die letzten Momente, bei denen die von ihren schwesterlichen Nymphen verstoßene Rusalka über den Körper des Prinzen einen liebevollen Segen spricht, geraten ebenfalls zu einer höchst eindringlichen Szene.

Die expressive Seelenmalerei glüht bei Dvorak in glühenden Orchesterfarben, die Oksana Lyniv mit  dem Staatsorchester Stuttgart in hervorragender  Weise herausarbeitet. Auch der von Manuel Pujol einstudierte Staatsopernchor Stuttgart ist an diesem Abend in Bestform. Die Anrufung des über dem Palast des Prinzen scheinenden Mondes unmittelbar vor dem in der Mitte des zweiten Aktes präsentierten Ballett wirkt impressionistisch zart (Choreografie Elfen: Judy LaDivina). Der sinfonische Spürsinn und die lyrischen Impulse dieser Musik kommen bei dieser Wiedergabe sehr gut zur Geltung. Das Ballett für die Hochzeitsgäste im zweiten Akt ist eine schwungvoll gestaltete Polonaise mit einem reizvollen Trio. Rusalkas Unfähigkeit, gemeinsam mit den Menschen zu feiern, kommt hier verzweiflungsvoll zum Vorschein. Am Ende Jubel, Ovationen und viele "Bravo"-Rufe.
 

 

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